Rezension aus der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Ausgabe 94/2018
Ausgangslage

Nach wie vor sind unsere Plätze und vor allem die Straßenräume überwiegend vom Auto dominiert. Nur selten gibt es glückliche Zufälle, wo hiervon abgewichen wird. Unter diesen Voraussetzungen tut sich die Förderung des Fuß- und Radverkehrs schwer.

In der Einführung der Broschüre weisen die Autoren Wolfgang Aichinger und Michael Frehn entsprechend darauf hin: „Ist eine Straße als eine Einladung an Kraftfahrzeuge konzipiert, dominiert hier bald der Autoverkehr mit Lärm, Abgasen und Flächenanspruch … Wirkt eine Straße jedoch einladend auf zu Fuß gehende und Rad fahrende Menschen, existieren Gelegenheiten zum Aufenthalt, so entstehen Kommunikation und Interaktion“. Die Wirkung des öffentlichen Raumes auf die Alltags-Kommunikation, u.a. in Abhängigkeit vom Geschwindigkeitsniveau, und die damit verknüpften Integrationspotenziale des öffentlichen Raumes hat Daniel Sauter u.a. basierend auf US-amerikanische Untersuchungen erörtert.

Klar umreißen die Autoren die Aufgabe für die Zukunft: „Der Erneuerungsbedarf deutscher Straßen und Plätze bezieht sich nicht allein auf Asphaltdecken und Leitungsnetze. … Die Straßenräume müssen quasi umprogrammiert werden, damit Anreize entstehen, das eigene Auto häufiger stehen zu lassen und auf eine aktivere Form der Mobilität umzusteigen.“


Inhalt

Der Kern der Broschüre ist eine Sammlung jüngst realisierter Positivbeispiele, die steckbriefartig vorgestellt werden. Die Beispiele stammen aus nahezu allen Bundesländern und berücksichtigen unterschiedliche Stadtgrößen, Straßentypen und Problemstellungen. Jeweils zwei bis vier Beispiele gelungener innerörtlicher Straßenraumgestaltungen betreffen:

innerstädtische Hauptverkehrsstraßen,
Altstadtplätze und -straßen,
Stadtteil- und Nebenzentren,
zentrale Umsteigeplätze für den Öffentlichen Personenverkehr,
städtebauliche Reparaturen,
Einkaufsstraßen in Nebenlage,
Übergänge und Verbindungen zwischen Stadtteilen,
Umfeld von Schulen und Kultureinrichtungen,
Kleinstädte und Gemeinden im ländlichen Raum.

Die Beispiele zeigen u.a., wie auch an stärker belasteten Straßen Verbesserungen möglich sind. Die Verkehrsbelastung ist auch Teil des tabellarischen Steckbriefs, der für alle Beispiele entwickelt wurde. Besonders hilfreich sind die anschaulichen Fotos, die einen guten Überblick vermitteln und zur Nachahmung anregen.

Ergänzend zu den vielfältigen Beispielen werden unterschiedliche thematische Aspekte, die für die Gestaltung maßgeblich sind, in sogenannten „Infoboxen“ aufbereitetet. Sie betrachten die Themen

hohe Querungsbedarfe,
Mehrfachnutzung,
Premium-Fahrradrouten,
Barrierefreiheit,
Fahrradparken,
Quartiersfonds,
Lieferzonen,
Innovative Beleuchtungskonzepte,
Premium-Gehrouten,
bürgerschaftliches Engagement in der Straßenraumgestaltung,
kostengünstige Maßnahmen,
Verkehrsversuche und Pilotvorhaben.

Ihren Abschluss findet die Broschüre mit verschiedenen „Bausteinen“, und zwar ganz praktische Vorschläge für

Straßenmöbel und Beleuchtung,
Spielen im Straßenraum,
Mobil-Punkte,
Straßengrün und urbanes Wasser.

Die Broschüre regt in jedem Fall dazu an, dem oft formulierten aber selten beherzigten Grundsatz zu folgen, die Straße vom Rand her zu denken. Dargestellt werden auch neue Gestaltungsideen wie die Anlage von durchgängigen, barrierearmen Mittelteilern, die zum einen das Überholen des Kfz-Verkehrs unterbinden und zum anderen eine flächenhafte Verbesserung der Querung für Fußgängerinnen und Fußgängern bewirken.

In ihrem Fazit gehen die Autoren auch darauf ein, dass Straßenräume und Platzgestaltungen nicht nur gebaut, sondern auch gemanagt werden müssen. Das betrifft u.a. das Sanktionieren von Falschparkern und den Umgang mit Lieferverkehren.
Bewertung

Die Broschüre ist nicht nur eine Quelle der Inspiration für Fachleute, sondern wegen ihrer anschaulich bebilderten Beispiele auch für interessierte Bürgerinnen und Bürger hilfreich. Damit kann und sollte sie die öffentliche Diskussion um die Gestaltung unser öffentlichen Räume – und nichts anderes sind Straßenräume – anregen. Ebenso sind die Beispiele dazu geeignet, gängige Normen und Richtlinien zu hinterfragen.

Zuweilen werden auch kritische Aspekte angesprochen, die nicht optimal gelöst wurden bzw. gelöst werden können. Es wird aufgezeigt, dass bei begrenztem Platz abgewägt werden muss und somit evtl. nicht alle Bedürfnisse optimal befriedigt werden können.

Der Vorteil, als handliche Broschüre einen Überblick zu geben, mündet in den Nachteil, dass viele Aspekte, insbesondere die Prozesse und Geschichten, die hinter den jeweiligen Gestaltungen stehen, nur angerissen werden können. Hier muss der interessierte Leser bzw. die interessierte Leserin auf eigene Faust weiter recherchieren. Leider fehlen Hinweise für die weitere Vertiefung der Beispiele.

Dennoch: Jetzt, wo die Broschüre vorliegt, wird erst klar, wie sehr sie uns gefehlt hat, um den Horizont zu erweitern und Skeptiker zu überzeugen. Mit ihrer Hilfe kann die verkehrspolitische Diskussion um lebenswerte Straßenräume, sowohl für den Aufenthalt als auch für das Zufußgehen und Radfahren, neu belebt werden. Dem Umweltbundesamt und den Autoren sei hierfür gedankt.
Titel:

UBA (Hg.): Straßen und Plätze neu denken, Dessau-Roßlau, Oktober 2017, 88 Seiten
Verfasser:

Wolfgang Aichinger, Dr. Michael Frehn
Bezug:

Download oder Bestellung unter www.uba.de/publikationen


Impressum:

Erstveröffentlichung in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Mai 2018. Der Kritische Literaturdienst Fußverkehr Krit.Lit.Fuss erscheint seit 1992 als Beilage des InformationsDienstes Verkehr IDV und nach der Namensumbenennung ab dem Jahr 2002 vierteljährlich in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung.

Autor dieser Ausgabe: Paul Bickelbacher.

Herausgeber: FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland, Exerzierstraße 20, 13357 Berlin, Tel. 030/492 74 73, Fax 030/492 79 72, eMail: This email address is being protected from spambots. You need JavaScript enabled to view it., www.fuss-eV.de

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